Aufwühlender Berner Dok-Film. Der Film des Berners Ueli Grossenbacher zeigt Ausbeutung und Elend und ist gleichzeitig witzig. Wer ihn gesehen hat,
betrachtet die Welt mit neuen Augen.
von Martin Burkhalter und Franziska Rothenbühler
Diese Arbeit hat Ulrich Grossenbacher verändert. Er ist selber erschrocken über das, was er da über die Schweiz erfahren hat. «Ich gehe heute anders durch die
Strassen. Bei jeder Baustelle mache ich mir meine Gedanken», sagt er. Ulrich Grossenbacher sitzt in seinem Studio in der Berner Lorraine. Der schon mehrfach ausgezeichnete Regisseur und
Kameramann («Messies») ging für sein neues Werk «Schwarzarbeit» dorthin, wo alles etwas zwielichtig ist: in die Schattenwirtschaft. Er hat mehrere Inspektoren der Berner Arbeitsmarktkontrolle bei
ihrem Job begleitet. 70 Drehtage lang heftete er sich an ihre Seite und fuhr mit ihnen im Auto durch den Kanton Bern. Wie in einem Polizei-Thriller ist er hautnah mit einer extra dafür
konstruierten Kamera dabei, wenn sie unangemeldet auf Baustellen, in Lebensmittelläden und Gastronomiebetrieben auftauchen, um zu sehen, ob auch alles rechtens ist. Er filmte sie dabei, wie sie
ihre oft unlösbare Aufgabe zu erfüllen versuchen: die gesetzlichen Mindeststandards in der Schweizer Arbeitswelt durchzusetzen.Grossenbacher zeigt, dass hier keine anonyme Behörde am Werk ist,
sondern Menschen, die eigentlich nur helfen wollen. Die Protagonistinnen und Protagonisten gehen einem nah. Wir sehen Figuren und hören Dialoge, wie sie sich kein Drehbuchautor hätte ausdenken
können. Die Zustände, die er dabei zeigt, sind schier nicht zu glauben, und doch sind sie wahr. Es ist haarsträubend, zu sehen, wie da Menschen aus dem nahen und fernen Ausland in diesem Land, in
der Schweiz, ausgebeutet werden oder sich selbst ausbeuten: Wir sehen Bauarbeiter, Küchenhilfen und Altenpflegerinnen, die ohne Vertrag, ohne Visum und ohne Versicherungen zu Hungerlöhnen
schuften. Zum Beispiel ist da der junge Arbeiter aus Mazedonien, der nur mit einem Touristenvisum auf einer Seeländer Baustelle arbeitet und sich nun, vom Arbeitsinspektor ertappt, verzweifelt in
einem Labyrinth aus Lügen verirrt, bis er vor der Kamera weinend zusammenbricht. Oder wir lernen den Betreiber eines Lebensmittelladens in Biel kennen, der für 550 Franken Grundlohn sieben Tage
die Woche den Laden hütet. Weil er als Manager angestellt ist, fällt er aus den Regelungen, die im Obligationenrecht festgeschrieben sind. Somit ist seine Ausbeutung legal. Oder wir sehen eine
Frau, die für 2060 Franken im Monat als private Pflegerin arbeitet, fünfmal pro Nacht ist sie im Einsatz, einen Vertrag gibt es freilich nicht. Gegen Lohndumping Grossenbacher sagt es so: «Wenn
du mit diesen Inspektoren unterwegs bist, blickst du direkt in das unerbittliche Karussell globaler Arbeitsmigration. Deshalb wusste ich auch, dass ich diese Geschichte aus einer linken,
gewerkschaftlichen Perspektive erzählen musste.» Denn darum geht es im Kern in «Schwarzarbeit»: um ein kaputtes System, das Menschen sich selbst ausbeuten lässt, um Lücken in den Gesetzen, die
von Firmen schamlos ausgenutzt werden. Es geht um Lohnungleichheit und deshalb auch um Lohndumping, um Lohnschutz, um die flankierenden Massnahmen und letztlich um das gescheiterte
Rahmenabkommen. Diese Seite verkörpert der SP-Politiker und Gewerkschafter Corrado Pardini, dem der Film ins Parlament und zu Redeanlässen folgt, wo er etwa für Lohnschutz und faireren Wettbewerb
weibelt. Sub-sub-Unternehmen Eines der vielen Probleme des Lohndumpings sind Subunternehmen. Ulrich Grossenbacher erklärt es in einem Satz: «Früher waren Reinigungskräfte noch bei der Firma
angestellt, für die sie putzten», sagt er. «Heute wird das outgesourct.» Und das bedeutet, dass eine Firma dann eben meist keine Ahnung hat, wer diese Person ist, die da putzen kommt – geschweige
denn weiss, wie viel sie verdient. Das System ist bekannt: Das Schweizer Unternehmen zahlt zwar der Firma, die das Putzpersonal vermittelt, den vorgeschriebenen Mindestlohn. Doch dieses
Unternehmen hat unter Umständen eine weiteres Unternehmen engagiert, das seinen Sitz vielleicht in Polen hat. Und dieses Unternehmen engagiert wiederum ein Unternehmen, das dann sein Personal in
die Schweiz schickt. Und wie auf einer Kaskade, bleibt vom ursprünglich bezahlten Lohn immer weniger übrig, bis am Schluss jemand für einen Hungerlohn in einem angesehenen Schweizer Unternehmen
putzt. Das Problem solcher Subunternehmen gibt es auf der ganzen Welt, vor allem in der Baubranche und der Gastronomie. Opfer sind dabei eigentlich immer die Arbeitnehmenden. Sie trifft es hart,
wenn Arbeitsinspektoren auftauchen. Sie sind es, die kriminalisiert, mit Handschellen abgeführt, mit Bussen belegt und oftmals auch ausgeschafft werden. Auch wenn die Inspektorinnen und
Inspektoren nicht davor zurückscheuen, Druck auf die ominösen Firmen im In- und Ausland auszuüben, die sich mittels Schattenwirtschaft bereichern, bleibt die Wirkung eher klein. Die Bussen und
Sanktionen sind lächerlich gering. Es ist und bleibt ein Kampf gegen Windmühlen. All das zeigt Ulrich Grossenbacher, und doch ist «Schwarzarbeit» weit mehr als ein investigativer Dokumentarfilm
über die Abgründe des Schweizer Arbeitsmarkts. Der Film ist unterhaltsam, spannend und sogar witzig, weil Grossenbacher immer den Menschen ins Zentrum stellt. Nicht nur die Bauarbeiter und
Küchenhilfen kommen zu Wort, sondern gerade auch die Inspektorinnen und Inspektoren selbst. Hemdsärmelig, aber menschlich Während draussen die Berner Landschaft in all ihrer Pracht vorbeizieht,
unterhalten sie sich auf ihren langen Autofahrten über ihre Erfahrungen und Zweifel, reflektieren über die Ambivalenz ihrer Arbeit, mit der sie Menschen oft schlicht die Lebensgrundlage
entziehen. Manchmal wirkt das etwas unbeholfen, manchmal hemdsärmelig, manchmal geradezu entlarvend, kurz: durch und durch menschlich. Diese Szenen sind es, die den Film zum Ereignis machen, weil
da die grosse Welt in der kleinen gespiegelt wird. Weil ganz gewöhnliche Menschen mit den grösseren Zusammenhängen konfrontiert sind. Und wunderbar ist, dass Ulrich Grossenbacher all das
ungeschönt und unzensiert zeigen kann. Niemand verstellt sich vor der Kamera. Alle erzählen freimütig von ihrer schwierigen Lage. «Die meisten Arbeiter, die ich bei der Kontrolle filmte, waren
damit einverstanden», sagt Grossenbacher. Zur Sicherheit hatte er immer Merkblätter und vorgedruckte Verträge in allen möglichen Sprachen dabei. «Letztlich haben sie selber Interesse daran, dass
jemand über die himmelschreienden Ungerechtigkeiten, die da herrschen, berichtet», sagt er. Und auch die Inspektoren der Arbeitskontrolle seien sehr aufgeschlossen gewesen. «Wer stolz auf seine
Arbeit ist, zeigt diese auch gerne. Das habe ich immer wieder gemerkt in meinem Schaffen.» Als aufregend und aufreibend beschreibt Ulrich Grossenbacher die Arbeit an dem Film, die insgesamt vier
Jahre gedauert hat. Und als augenöffnend. «Schwarzarbeit wird es immer geben, das habe ich nun begriffen», sagt er. Sie sei schlicht nicht zu verhindern – ausser mit einem Polizeistaat, und den
wolle niemand. «Wir müssen die flankierenden Massnahmen und den Lohnschutz erhalten. Es braucht gute Gesamtarbeitsverträge, und der Staat muss dafür sorgen, dass diese auch eingehalten werden.
Mehr können wir wohl nicht tun.»