«Schwarzarbeit» : Ulrich Grossenbacher wirft mit seinem starken Dokumentarfilm ein Schlaglicht auf die Schattenwirtschaft in der
Schweiz.
Andreas Scheiner
Auf Streife mit der Arbeitsmarktkontrolle, die neue Kollegin wird durch ein Bieler Problemviertel geführt, fragwürdige Lokale links wie rechts: «Hier könntest du
kontrollieren und gleich zwei oder drei Leute zum Teufel jagen», erklärt der Chef. «Hier in der Strasse ist bisschen illegales Rotlichtmilieu, komische Coiffeure (. . .), hier im ‹Al Capone›
hatten wir mal einen Kapo-Einsatz (. . .), hier, das ‹Cordon Bleu›, das hab ich auch auf der Liste.» Der Kontrolleur kennt seine Pappenheimer. Schwarzarbeit, wohin das Auge reicht, Dumpinglöhne,
Scheinselbständigkeit – die Schweiz, ein Hort der Schattenwirtschaft? So sieht’s aus. Sozialwirtschaftliche Abgründe tun sich auf in Restaurantküchen, Spediteure tricksen, wo’s nur geht, auf
gefühlt jeder Baustelle büezt irgendwo ein Sans-Papiers. Der Filmemacher Ulrich Grossenbacher gibt eine Ahnung von den Missständen im Land, es ist erschreckend. «Sorry, Chef» Seine Doku
«Schwarzarbeit» begleitet Arbeitsmarktinspektoren in Bern bei der Suche nach illegal Arbeitenden, aber auch nach den Ausbeutern. Grossenbacher («Messies – Ein schönes Chaos») kommt vom Direct
Cinema, seine Kamera beobachtet bloss. Was sich mittelspannend anhören mag. Doch bei den unangemeldeten Kontrollen kommt es nicht selten zu dramatischen Szenen: Der tamilische Küchenmitarbeiter,
der sich beim Anblick der Kontrolleure in Luft auflöst – und in der Speisekammer, im Lichtkegel der Taschenlampe, wieder zum Vorschein kommt. Oder der junge Mazedonier auf dem Bau, der keine
Arbeitsbewilligung hat. «Sorry, Chef», schluchzt er, bettelt den Kontrolleur an, «bitte, nur diese Chance, bitte.» Dieser lässt sich fast erweichen. Aber nur fast. Der Arbeitstag endet für den
illegal Erwerbstätigen in Handschellen. Mit den Arbeitsmarktkontrolleuren ist es wie mit allen Menschen. Der eine hat mehr Mitleid, der andere weniger. Untereinander wird diskutiert. Er sei «ein
sozialer Tiefflieger», gibt der Hartgesottenste im Team zu. «Empathie eines Zwiebacks.» Aber die armen Teufel würden doch nur arbeiten wollen, wirft sein Kollege ein. «Sie sollen doch arbeiten.
Aber legal.» – «Und wenn sie nicht dürfen?» – «Sollen sie nicht arbeiten.» Es ist eine Crux. Vielen bleibt kaum eine andere Wahl, als illegal zu arbeiten. Grossenbacher urteilt nicht – nicht über
die Schwarzarbeiter, aber auch nicht über die Kontrolleure. Denn ohne sie kann der Sozialstaat nicht fair funktionieren. Der Film zeigt die menschliche Misere. Und dass, wie so oft im Leben, die
Kleinen dran- und die Grossen davonkommen: Der arme mazedonische Schlucker wird wohl ausgeschafft. Und der Chef von der Baustelle? Bezahlt die Busse aus der Portokasse. Ein Kontrolleur sagt es
so: «Wenn du illegal in der Schweiz bist, kannst du nicht zu einem anständigen Chef kommen.» Links wie rechts Das führt dann zu den grossen politischen Baustellen: Wie können die Missstände
bekämpft werden, welche Lohnschutzmassnahmen braucht es in einem weitgehend liberalisierten europäischen Arbeitsumfeld? Grossenbacher geht den Fragen nicht aus dem Weg: Indem er den
Ex-SP-Nationalrat und Gewerkschafter Corrado Pardini zu einem weiteren Protagonisten macht, öffnet er den Film für die grösseren Zusammenhänge. Wenn Corrado Pardini in der «Arena» des Schweizer
Fernsehens eine Studie zitiert, wonach bei einer Kontrolle von 40 000 Betrieben in der Schweiz fast in jedem fünften Fall Lohndumping oder Scheinselbständigkeit festgestellt worden ist, wird erst
die Tragweite des Problems sichtbar. Pardini wagt sich auch als Gastredner an die Albisgütli-Tagung der SVP, wo dann, klar, Blocher über die Personenfreizügigkeit mit der EU herzieht («die
wichtigste Turnübung im Bundesrat: Kniebeugen, immer beugen, wenn die EU etwas sagt»), bevor der Gewerkschafter griffige lohnschützende Massnahmen gegenüber der EU anmahnt. Also, mit der EU
werden beide nicht warm, vielleicht müsste man einmal gemeinsam in Brüssel vorstellig werden: «Grüessech mitenand, Arbeitsmarktkontrolle!»